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Kurzporträt: Franz Freitag

Unter dem provokanten Titel „Der Egoist“ wurde 1968 im Theater in Neustrelitz ein „heiteres Stück in 8 Bildern“ vom Autor Franz Freitag uraufgeführt. Kern der Handlung ist der Erfolg des Vorsitzenden einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG), der auf egoistischen und nicht immer ganz legalen Aktionen beruht. Anlaß, ihm eine Lehre zu erteilen, ist der Diebstahl von Baumaterialien für „seine“ LPG. Das Stück war so erfolgreich, dass es von einigen Bühnen ins Repertoire aufgenommen und auch im Ausland gespielt wurde. Als literarische Vorlage diente das im Berliner Henschelverlag erschienene maschinenschriftlich vervielfältigte Bühnenmanuskript.[1]Die Premiere fand in Berlin am 26. 3. 1969 am Maxim-Gorki-Theater unter der Regie von Frank Beyer und Albert Hetterle[2] mit namhaften Schaupielern statt. Als Hörspiel wurde das Stück im Rundfunk der DDR am 25. 6. 1969 gesendet. Das Fernsehen der DDR strahlte das Stück am 2. Juni 1972 aus.[3]

Franz Freitag. Mit freundlicher Genehmigung von Edith Freitag[4]

Wer war der erfolgreiche Autor Franz Freitag? Der Sohn eines Schlossers und einer Köchin, 1925 in Lassan geboren, legte nach dem Besuch der Volksschule 1942 die Gesellenprüfung als Graugußformer und Gießer ab.[5] Seit 1939 gehörte er der Hitlerjugend an und war er seit 1943 Mitglied in der NSDAP.[6] Im II. Weltkrieg zur Luftwaffe eingezogen, wurde er 1945 verwundet und verlor ein Auge. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft wurde er zur Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ delegiert, war Kreissekretär der FDJ in Prenzlau und arbeitete dort später in der Kreisleitung der SED.[7] 1953 erhielt er eine „Parteistrafe und ging in die Produktion“.[8] Durch die „Ereignisse des 17. Juni 1953“ wurde er „als Anerkennung“ für seinen „Einsatz in der Polit[ischen] Abt[eilung) beim Ministerium für Eisenbahn berufen“.[9] Seit 1957 lebte Freitag in Neustrelitz. Von 1959 bis 1961 studierte er am Institut für Literatur in Leipzig; zu seinen Mitstudenten gehörten Horst Enke, Herbert Klecha, Paul Rölle und Günter Rumposch. Nach dem Studium wurde Freitag freischaffend und veröffentlichte 1963 ein Lustspiel, gefolgt von dem Schwank „Sorgenkinder“ (1965). Großen Erfolg erreichte er nochmals mit seiner Komödie „Die Zwillinge“, die als „Fernsehfilmlustspiel“ mit dem populären DDR-Schauspieler Rolf Ludwig 1973 ausgestrahlt wurde. In der Komödie wird gezeigt, was alles passieren kann, wenn ein Schriftsteller und ein Warenhausdirektor ihre Rollen tauschen.

Autorin: Marianne Jacob


[1] Freitag, Franz: Der Egoist. Ein heiteres Stück in 8 Bildern. Berlin 1968

[2] Sammlung Jacob

[3] Ebenda

[4] Sammlung Jacob. Foto Franz Freitag

[5] Freitag, Franz: Lebenslauf. Ungedr., Sammlung Jacob 1959

[6] Ebenda

[7] Sammlung Jacob

[8] Freitag, Franz: Lebenslauf. Ungedr. Sammlung Jacob 1959

[9] Ebenda

Kurzporträt: Martin Meißner

Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Buchautor zum Bürgermeister gewählt wird.

Bekanntes Beispiel aus der Nachkriegszeit ist Hans Fallada (geboren als Rudolf Ditzen), Autor der Bestseller „Kleiner Mann – was nun?“ und „Jeder stirbt für sich allein“, der 1945 in der mecklenburgischen Kleinstadt Feldberg als Bürgermeister eingesetzt worden war. Auch ein späterer Absolvent des Literaturinstituts Johannes R. Becher, Franz Freitag, wirkte nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig in Mecklenburg als Bürgermeister.[1]Interview Marianne Jacob mit Herbert Jacob, 2021 Der in der DDR bekannte Kinder- und Jugendbuchautor Martin Meißner wurde 1990 zum stellvertretenden Bürgermeister von Klötze gewählt.

Mit freundlicher Genehmigung von Martin Meißner.

Meißner, der in seiner Jugendzeit als Bohrarbeiter und Matrose arbeitete, studierte von 1961 bis 1965 Pädagogik, Deutsch und Geographie an der Karl-Marx-Universität Leipzig und arbeitete danach als Fachlehrer. [2]Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. Von 1968 bis 1970 studierte er am Literaturinstitut J. R. Becher. Nebenbei veröffentlichte er einige Jugendbücher, wie „Die Pferdediebe von Seberitz“. Bevor er 1984 freischaffender Schriftsteller wurde, war er ab 1979 Lehrer an einer Sprachheilschule. Die Erfahrungen aus seinem Beruf werden insbesondere in dem einfühlsamen Kinderbuch „Manuel und der Waschbär“ aufgegriffen, mit einer Thematik, die auch in der DDR nicht alltäglich zur Sprache kam: „einem Kinderheim, einem guten, umsorgt von verständnisvollen Erziehern“ mit „dem freundlichen Sprachheillehrer, der sich sehr […] bemüht“.[3]Martin Meißner: Manuel und der Waschbär. 2. Aufl. Berlin 1983. Einbandtext. Erzählt wird die Geschichte von Manuel, einem Jungen, der bittere Enttäuschungen erlebt hatte, von einem Tier fasziniert wird, mit diesem Freundschaft schließt und langsam wieder Selbstvertrauen gewinnt. In den Geschichten von Meißner stehen oftmals die Mensch-Tier-Mensch-Beziehungen im Mittelpunkt der Handlungen, so wie auch in „Blitzard“ eine Taube, eine Igelfamilie in „Die Flöte mit dem Wunderhorn“, und Hengste in „Die Pferdediebe von Seberitz“.

Neben weiteren Jugendbüchern veröffentlichte Meißner einen „Kinderstadtführer Magdeburg“ (2003) sowie einen „Sachsen-Anhalt-Krimi“ unter dem Titel „Blutholz“ (2011).

Ich wachse immer morgens

Es ist morgens.

Das weiß Nora. Weil es hell ist. Weil sie nicht mehr schläft und schon auf dem Spielplatz sitzt. Morgens ist, wenn die Sonne zum Spielplatz kommt.

Das Mädchen sitzt im Sandkasten. Das heißt, auf einem Brett am Rand. Nur seine Füße sind im Sandkasten. Der Sand ist kalt. Nora merkt das, weil sie ihre Schuhe ausgezogen hat und die Strümpfe auch. Von oben aber werden ihre Füße warm, da sie in der Sonne sind.

Sie guckt ihre Füße an. Obwohl Nora sie kennt, guckt sie ihre Füße lange an. Als hätte sie die neu.

Nora weiß, wie sie heißt. Andere wissen das nicht. Auch ihre Mutter nicht. Sie ruft sie immer „Kleine“. Und weil ihre Mutter sie immer Kleine nennt, denken alle, so hieß sie und sagen Kleine zu ihr.

Andere Kinder wissen ihren Namen nicht und reden nicht mit ihr, weil sie nicht richtig sprechen kann. Und sie ist auch nicht richtig im Kopf, sagen sie gleich mit. Nora spricht gern. Aber weil sie keiner versteht, redet sie am liebsten mit sich selbst. Oder mit dem alten Mann. Der ihren Namen kennt.

Auf den wartet Nora jetzt. Denn morgens ist, wenn die Sonne auf ihre Füße scheint und der alte Mann gekommen ist. Auf der Bank sitzt, die am Nachmittag den Müttern mit ihren Kindern gehört.

Ich wachse so gern, hatte Nora mal zu dem alten Mann gesagt, als er sie ohne Schuhe und Strümpfe im Sandkasten sah. Am liebsten am Morgen.

Der Mann fand das lustig und lachte. Das hatte er noch gar nicht gehört, dass ein Mädchen nur am Morgen wuchs. Sie wuchs so gern, sagte sie, damit sie bald niemand mehr Kleine nennen konnte und jeder ihren richtigen Namen sagt.

Und damit Nora auch wirklich schnell wuchs, zog sie ihre Schuhe aus und die Strümpfe ebenfalls. Sie hielt ihre nackten Füße in die Sonne, was dem alten Mann ganz besonders gefiel.

Das machst du richtig, sagte er. Alles Leben braucht Sonne und kommt aus ihr.

Und dann fiel ihm noch was ein. Oder auch Nora selbst. Sie wusste es nicht mehr. Sie brachte am nächsten Morgen eine kleine Gießkanne voll Wasser mit. Und damit gossen sie ihre Füße. Nora zuerst. Aber bald half ihr dabei der alte Mann. Wie man Blumen oder Kohlpflanzen gießt, hielt er die Kanne schief und machte ihre Füße nass. Was die Wurzeln für die Pflanzen waren, wären die Füße für ein Kind.

So, nun kannst du schön wachsen, sagte er, als kein Wasser mehr in der Kanne war. Und dann schauten beide auf Noras Füße und freuten sich. Nora wartete darauf, dass es kribbelte. Und wenn es kribbelte, wusste sie, dass sie wieder ein kleines Stückchen größer geworden war.

Das machten sie, bevor die anderen Kinder kamen. Zum Schluss stellte sich Nora mit dem Rücken an einen kleinen Baum. Dann legte ihr der alte Mann die Hand auf den Kopf. So kontrollierte er, ob sie auch ordentlich wuchs. Zuletzt hob er Nora hoch. Damit sie den Unterschied auch richtig sah.

Martin Meißner: Ich wachse immer morgens, in: Ort der Augen 4 (2009)[4]Martin Meißner: Ich wachse immer morgens, in: OdA Ort der Augen 4 (2009). Die Rechte für diesen Text liegen beim Autor. Mit freundlicher Genehmigung von Martin Meißner.

Autorin: Marianne Jacob

References

References
1 Interview Marianne Jacob mit Herbert Jacob, 2021
2 Fragebogenauskunft an Marianne Jacob
3 Martin Meißner: Manuel und der Waschbär. 2. Aufl. Berlin 1983. Einbandtext.
4 Martin Meißner: Ich wachse immer morgens, in: OdA Ort der Augen 4 (2009). Die Rechte für diesen Text liegen beim Autor. Mit freundlicher Genehmigung von Martin Meißner.

Arbeitsbesuch im Kulturquartier Neustrelitz

Bei den Forschungen zur Autor*innen-Datenbank korrespondieren wir nicht nur mit den großen Archiven im In- und Ausland, sondern sind auch auf die Sammlungen kleinerer Einrichtungen und Regionalarchive angewiesen. Oftmals können hier spezielle bio-bibliographische Angaben und Auskünfte zu den betreffenden Autor*innen eruiert werden, die anderswo nicht zu beschaffen wären.

Ein Beispiel dafür ist das Kulturquartier Neustrelitz in der Alten Post, das die Verfasserin und ein Student im Sommer 2021 besuchten.

Aus der besonderen Entstehungsgeschichte dieses Kulturquartiers haben sich heute Arbeits- und Wirkungsfelder entwickelt, die es nicht allerorten gibt. Neben dem Museum zur Geschichte von Mecklenburg-Strelitz und dem historischen Theaterarchiv beherbergt es die Stadtbibliothek Neustrelitz und das Karbe-Wagner-Archiv. Außerdem ist es zentraler Ort von Ausstellungen, Veranstaltungen, Autor*innenlesungen, Vernissagen sowie musikalisch-literarischen Abenden und führt Schülerworkshops, Vermittlungsangebote und Thementouren zur Stadtgeschichte auch in Zusammenarbeit mit dem „Erinnerungsort Stasi-Untersuchungshaftanstalt“ durch.

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